Konstantin Wecker und Jo Barnikel
Bützberg, eine emotionale Achterbahnfahrt mit «Solo für zwei» Mit «gefrorenem Licht» die Welt poetisieren
Grosses Kino in der Mehrzweckanlage: Konstantin Wecker und Pianist Jo Barnikel zogen das Publikum mit Liedern, Blues und Gedichten in ihren Bann, und gaben happige Hausaufgaben mit auf den Weg. Auch den prominenten Gästen, Alt-Bundesrat Moritz Leuenberger und Barbara Egger-Jenzer, bis 2018 Regierungsrätin des Kantons Bern. Organisiert wurde der Anlass vom ABA, dem Arbeiter-Bildungs-Ausschuss Thunstetten-Bützberg.
Die Bühne wirkt, mit nur einem schwarzen Flügel, Bistrotisch und Stuhl, karg ausgestattet. So gewünscht von Konstantin Wecker, der zu den bedeutendsten Liedermachern im deutschsprachigen Raum gehört und Jo Barnikel, dem begnadeten Musiker und Komponist. Die beiden versprechen in ihrem Programm «Solo zu zweit», einen Wegweiser auf der Suche nach dem Wunderbaren. Der mystische Abend beginnt. Wecker schreit ins Publikum: «die Potentaten (Machthaber) wissen, was für Ängste in den Bürgern schlummern und nützen dies schamlos aus!». Es wird noch lauter und der gemietete Flügel wird unanständig hart bearbeitet: «Mit Mitgefühl, Verstand und Poesie können wir der braunen Brühe wiederstehen!» Wie eine Waschmaschine, deren Programme durcheinander geraten sind, lässt er das Publikum schonungslos durch den Spül- und Schleudergang.
«So! Nach 10 Minuten ist klargestellt, wie ich politisch dastehe», erklärt der bekennende «Puccinist» Wecker plötzlich sanft. «Wer zu Puccini noch nie geweint hat, gehört nicht zur menschlichen Spezies.» Immer noch pudelnass, wird jetzt das Publikum mit Weichspüler und Poesie eingeschäumt. Barnikels gefühlvollen Pianoklänge, des Sängers holde Gesangsstimme und ein Text zum Verschmelzen: «Jetzt möchte ich dir endlich einmal danken, dass du mich schon so lang ertragen hast. Meine Zerrissenheiten und mein Schwanken. Und den Ballast.» Wirklich übel, dass die beiden das Publikum, trotz grösstem Bedürfnis(!) an dieser Stelle nicht klatschen liessen. Wie zweitklassige DJ’s mixten sie einen Übergang, von der feinfühligen Poesie zum kindischen Kabarettstück. Der Gesang drehte sich nun um Italien und vom Gefühl, auf der Piazza den Mädchen auf den Po zu schauen. So ist eben die Welt – Machthaber, Herzschmerz und der menschliche Trieb. Danke Herr Wecker für diese Lektion!
Dürr, Schneider und Rilke
Unerwartet viel Persönliches gab Konstantin Wecker von sich preis. Erzählungen über seine Eltern zeigten Einblicke in die behütete Kindheit. Mit einer originalen Tonbandaufnahme, wie er als Zwölfjähriger im Duett mit seinem Vater - einem Opernsänger - «La Traviata» singt, liess er das Publikum ins elterliche Wohnzimmer horchen. Auf seinem Weg begleiteten ihn Rilke, einen einzigen Abend lang auch Harry Belafonte und unzählige Friedensaktivisten und Poeten. Darunter auch der Physiker Hans-Peter Dürr, dem er das Lied «gefrorenes Licht» widmete. Liebevoll erzählte von einem weiteren, bereits verstorbenen Freund, dem Kabarettisten Werner Schneyder. Mit ihm zankte er sich auch ab und zu heftig.
Die Hausaufgaben
«Es geht ums Tun, und nicht ums Siegen», ruft der zweiundsiebzigjährige Künstler kurz vor Schluss energisch ins Publikum. Einen beschämenden Hintergrund liefert er mit: «Janusz Korczak leitete während des zweiten Weltkriegs ein Kinderheim. 200 «seiner» Kinder wurden von der SS in ein Vernichtungslager transportiert. Janusz hatte die Wahl, frei zu sein oder mit den Kindern in den Tod zu gehen. Er entschied sich fürs zweite. Er starb im August 1942 im KZ Treblinka.»
Die Menschen sitzen betroffen im Saal. Wer träumte nicht auch als Kind und in den Jugendjahren von einer Welt ohne Krieg und Hunger? Unzählige gingen für diese Ziele auch an Demonstrationen. Doch was ist aus diesem Engagement geworden? «Die Gesellschaft muss pubertär bleiben. Die Marktwirtschaft braucht das!», provoziert der «alte Anarcho» Wecker». Ein Seitenhieb an die Menschen, die sich mit Fünfzig ein Motorrad kaufen oder den ersten Triathlon absolvieren? Wecker darf sein zahlendes Publikum aufziehen. Weil er weiss, dass er an diesem Abend die Sehnsüchte nach Frieden und die Hoffnung auf genügend Essen für Alle, im tiefsten Innern der dankbaren Gäste wieder weckte.
Von Bützberg nach Berlin
Konstantin Wecker und Jo Barnikel waren im 2016 schon einmal zu Gast beim Arbeiter-Bildungs-Ausschuss Thunstetten-Bützberg. Eine Sensation, denn der Künstler ist wählerisch bei seinen Auftritten. Auch aus Zeitgründen. In diesem Jahr waren im dichten Tourneeplan, neben Bützberg, nur zwei weitere Auftritte in der Schweiz geplant. Die Rückkehr hat einen Grund. Mit dem Kompliment «ihr seid äusserst nette Gastgeber und wir haben uns sehr wohl gefühlt bei euch», verabschiedete sich der Künstler bei Christine Röthlisberger, die mit ihrem Team das Unmögliche möglich gemacht hat.
Text: Josy Bucher